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Worte vorab

Klein aber fein - Vermers Werk 

Delft in Vermeers Zeit

          Bier 
          Textilindustrie

 

Worte vorab

 

Dirck de Cocq war Apotheker in Delft, in einem Viertel, in dem vornehmlich Katholiken wohnten und das man darum Papenhoek nannte. Nach seinem Tod am 17. November 1663 wurde im darauffolgenden Februar notiert, dass Johannes Vermeer ihm beziehungsweise nun seiner Witwe noch 6 Gulden und 13 Stuivers für Medikamente schuldete. Zu diesem Zeitpunkt war Johannes Vermeer offenbar noch ein normaler Sterblicher, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Er und seine Familie konnten schwer erkranken oder kleinere Wehwehchen haben. Auf der Suche nach Linderung begaben sie sich zum Apotheker um die Ecke. Es lohnt sich, dies im Hinterkopf zu behalten.

Denn rund 200 Jahre später bezeichnete der Franzose Thoré-Bürger denselben Johannes Vermeer als Sphinx, womit er wohl eine ungreifbare, mythische Figur meinte, die man sich kaum menschenähnlich vorstellt. Etienne-Joseph-Théophile Thoré (1807-1869) war ein französischer Kunstkritiker, dem im 19. Jahrhundert eine Wiederentdeckung Vermeers zu verdanken ist. Er publizierte seit 1855 unter dem Pseudonym W. Bürger, das er während eines politischen Asyls 1849-1859 annahm. Sein besonderes Interesse an Vermeer geht auf eine erste Begegnung mit dem Blick auf Delft im Den Haager Mauritshuis zurück - die Initialzündung zu weiteren Forschungen seinerseits zu einem damals so gut wie vergessenen holländischen Maler.

Seit Thoré-Bürger entwickelte sich ein Kult um Vermeer, der neben kommerziellen Kapriolen, zu denen sich manche Museumsshops hinreißen lassen, auch Tracy Chevaliers Buch und den danach entstandenen Film über das Mädchen mit dem Perlenohrring hervorbrachte und nicht zuletzt mit diesem viele eher auf romantisches Wunschdenken als auf historische Fakten basierende Vorstellungen von Vermeer bewirkte.

Johannes Vermeers außergewöhnliche Kunstfertigkeit begeistert Laien, Kunstliebhaber und Experten gleichermaßen. Vermeer war allerdings außer einem verehrten, gepriesenen Künstler der Sonderklasse auch ein Mensch, eingebettet in das Geschehen und die Sorgen seiner Zeit und seiner Stadt. Dem sind die folgenden Seiten gewidmet. Dabei wird auffallen, dass die historische und kunsthistorische Detektivarbeit, mit der Kenntnis zu Vermeer und seinem Werk zutage gefördert wird und wurde, oft eher zu Indizien als in Stein gemeißelten Wahrheiten führt. Auch wenn der amerikanische Forscher John Michael Montias in mühevoller Kleinarbeit Hunderte relevante Dokumente zu Vermeer zusammentragen konnte, bleibt die Beweislage im Falle Vermeers für viele Aspekte schwierig. So bestimmen außer einigen Rahmendaten viele Vermutungen, Spekulationen und Fragezeichen unser Bild von Vermeer. Das betrifft natürlich noch zahllose andere Maler des 17. Jahrhunderts, doch nur wenige stehen derart im Mittelpunkt des Interesses wie Johannes Vermeer.

Klein aber fein – Vermeers Werk

Das gemalte Werk Johannes Vermeers kennzeichnet sich durch eine Mysteriösität, Serenität und einen Charme, die ihresgleichen suchen. Vermeer wird immer wieder für seine meisterliche Behandlung des Lichts gepriesen. Statt mit akzentuierten Linien zu arbeiten, setzte er Sfumato genannte weiche Übergänge als charakteristisches Merkmal für seinen Stil ein. Seine virtuosen Kompositionen von Figuren und Objekten im Raum fesseln derart, dass Betrachter sich auch nach rund 350 Jahren noch vor einer Situation wiederfinden, die sie trotz ausgiebiger Kontemplation nicht definitiv entschlüsseln können.

So immens seine Berühmtheit ist, so übersichtlich ist Vermeers Oeuvre. Anfangs wandte er sich der Historienmalerei zu: Er gab in seinen Gemälden Szenen aus der Geschichte wieder – in seinem Fall der biblischen oder mythologischen Geschichte. Die Historienmalerei genoss generell in der Kunsttheorie das höchste Ansehen, was aber in der Praxis nicht bedeutete, dass ein Maler nicht auch in einer geringer geachteten Gattung wie der Landschafts- oder Stilllebenmalerei gutes Geld verdienen konnte. Schon bald nach seiner Einschreibung als Meister in die Malergilde, die Lukasgilde, änderte sich die Thematik von Vermeers Werken. Er stellte nun zumeist wenige Figuren jungen bis maximal mittleren Alters aus gutsituiertem Hause dar. In seinen späteren Werken stieg der Anteil einzelner Figuren und rückten diese näher an den Betrachter heran. Musizieren, Lesen und Schreiben wurden zu zentralen Beschäftigungen auf seinen Gemälden. Mit zwei Allegorien – Personifizierungen abstrakter Begriffe - wich er in seinen reiferen Jahren noch einmal vom eingeschlagenen Weg der Genremalerei ab: Die Malkunst, eine Allegorie der Malerei im Kunsthistorischen Museum in Wien und die Allegorie des katholischen Glaubens im Metropolitan Museum in New York dürfen als zwei Hauptwerke angesehen werden.

Während sich Johannes Vermeer aller Wahrscheinlichkeit nach nur selten außerhalb Delfts begab, haben seine Gemälde die Stadt ausnahmslos verlassen. Wenigstens die Werke, die noch bekannt sind, und das sind mit 34 bis 35 Gemälden erstaunlich wenige. Sie verteilen sich heute über neun Länder auf drei Kontinenten: Europa, Amerika und Asien. Die meisten gesicherten Werke, 22 Stück, sind in Europa zu bewundern, davon sieben in den Niederlanden und sechs in Deutschland als die zwei Länder mit den meisten Vermeer-Werken. Von den europäischen Sammlungen kann sich das Rijksmuseum in Amsterdam als das Museum mit den meisten Gemälden Vermeers, nämlich vier Werken, rühmen, gefolgt vom Museum Mauritshuis in Den Haag mit drei Gemälden.

Nur in den USA gibt es eine Museumssammlung mit mehr Vermeers: Das Metropolitan Museum in New York besitzt stolze fünf Werke. Die National Gallery of Art in Washington DC zieht mit einem Bestand von vier Gemälden gleich mit dem Rijksmuseum, wobei Vermeers Eigenhändigkeit im Falle der zwei Washingtoner Gemälde mit dem Mädchen mit Flöte und dem Mädchen mit rotem Hut allerdings von manchen angezweifelt wird. Diese beiden Werke sind die einzigen auf Holz gemalten und zugleich die kleinsten Bilder in Vermeers (vermeintlichem) Oeuvre. Alle übrigen malte er auf Leinwand. Die USA halten mit zwölf bis vierzehn Gemälden auch den Rekord, was den Besitz der meisten Vermeers pro Land angeht. Dabei sind nicht alle zu sehen: Das Isabella Stewart Gardner Museum in Boston zeigt nur einen leeren Rahmen. Es verlor sein einziges Vermeer-Gemälde im März 1990 zusammen mit zwölf weiteren Werken bei einem Kunstraub, der unter dem Begriff Boston heist als einer der größten Kunstdiebstähle in die jüngere Geschichte einging. Weder die Täterschaft noch der Verbleib der gestohlenen Werke konnte bis heute geklärt werden.

Bei zwei weiteren Gemälden ist unter Experten umstritten, ob sie sicher von Vermeers Hand stammen: In der New Yorker Leiden Collection befindet sich seit 2008 das Gemälde einer Jungen Frau an einem Virginal aus dem Besitz der Erben des Baron Frédéric Rolin, das am 7. Juli 2004 bei Sotheby’s in London für stattliche 16 245 600 britische Pfund versteigert wurde und dessen Urheberschaft Vermeers angezweifelt wird. Sollte es sich hier tatsächlich ein eigenhändiges Werk Vermeers handeln, muss es als Spätwerk eingestuft werden.
          Zehn Jahre später kam wiederum ein Vermeer-Gemälde zur Versteigerung, das allerdings schon länger bekannt war und als Vermeer-Original diskutiert wurde: Diesmal betraf es die Heilige Praxedis, ein frühes Werk, das am 8. Juli 2014 bei Christie’s in London aufgerufen wurde und bei 6 242 500 britischen Pfund den Zuschlag erhielt. Es handelt sich hier um eine Kopie nach einem Gemälde des italienischen Malers Felice Ficherelli, das soweit bekannt Italien nie verlassen hat und sich noch heute in italienischem Privatbesitz befindet. Es bleibt also noch herauszufinden, wie Vermeer es gesehen und als Vorlage für sein eigenes Werk verwendet haben kann.

Delft in Vermeers Zeit

Hendrick Cornelisz. Vroom, Delft von Nordwesten gesehen (Ausschnitt), 1615, Museum Prinsenhof Delft

Delft von Nordwesten gesehen, Ausschnitt eines Gemäldes von Hendrick Cornelisz. Vroom von 1615 (Museum Prinsenhof Delft)

 

Johannes Vermeer wurde in eine der größeren Städte der Republik der Niederlande hineingeboren – zu einer Zeit, in der es in der Regel Fürsten und Monarchen waren, die Länder regierten, und eine selbstbestimmte Republik eine Seltenheit war. Delft hatte zu Vermeers Lebzeiten ungefähr 22 000 bis 24 000 Einwohner. Ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung verdiente seinen Lebensunterhalt mit der Herstellung von Bier, Textilien oder Keramik – sei es direkt oder indirekt. Ein verheerender Stadtbrand hatte Delft 1536 in Schutt und Asche gelegt. Erste steinerne Gebäude waren zu dem Zeitpunkt bereits errichtet gewesen. Seit dem Brand war Neubau nur noch aus Stein gestattet. Die Stadt war umgeben von einer soliden Stadtmauer aus dem 15. Jahrhundert, hinein gelangte man über eines der acht Stadttore. Das wichtigste weltliche öffentliche Gebäude war das Rathaus auf dem Marktveld genannten Marktplatz, die zwei wichtigsten Kirchen waren die Oude Kerk und die Nieuwe Kerk.

Die Oude Kerk wurde ab etwa der Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet und steht an der Stelle eines kleinen Vorgängerbaus aus Tuffstein aus dem 11. Jahrhundert. Sie fällt wegen ihres charakteristischen, wegen Versackungen schiefen Turms und durch die enormen Zifferblätter an der Turmuhr von 1605 schon von Weitem auf, wenn man sich ihr entlang der ältesten Gracht Delfts, der Oude Delft nähert. Die Nieuwe Kerk am Markt geht der Überlieferung nach auf die Vision eines Bettlers zurück, dem an dieser Stelle eine goldene Marienkirche erschienen war. Nach hundert Jahren Bauzeit wurde 1496 der imposante Kirchturm am Markt vollendet.

Die Stadt hatte unter Wilhelm von Oranien (1533-1584) nationale Bedeutung erlangt, als dieser Anführer des niederländischen Freiheitskampfes gegen die spanischen Herrscher über die niederländischen Provinzen seine Residenz hierher verlegte und einige Jahre später hier ermordet und begraben wurde.

 

Bier

Zu Vermeers Zeiten konnte Delft auf eine große Vergangenheit als Bierstadt zurückblicken. Das Brauereiwesen florierte in Spitzenzeiten so sehr, dass Delft zeitweilig 200 Brauereien zählte. Delfter Bier war ein erfolgreiches Exportprodukt, das vor allem in den südlichen niederländischen Provinzen reichen Absatz fand. Als sich mit Beginn des Achtzigjährigen Krieges die Beziehungen, auch die Handelsbeziehungen, mit den südlichen Nachbarn verschlechterten, setzte ein Niedergang der Erfolgsgeschichte ein.
           Wenn auf Vermeers Gemälden getrunken wird, wird eher Wein als Bier konsumiert, wie in den Werken Kavalier und junge Frau in der Frick Collection, Das Glas Wein in Berlin und Junge Frau mit Weinglas und Kavalier in Braunschweig. Wein war teurer und galt als schicker, passte also eher zum Status der bürgerlichen Figuren, die Vermeer in seinen Gemälden wiedergibt. In seinem frühen Dresdner Gemälde Die Kupplerin aber hält der Mann links ein Bierglas in der Hand und scheint damit fast dem Betrachter zuzuprosten.
          Der Mangel an Bier in Vermeers Werk ist nicht auf mangelnde Versorgung der Delfter Bevölkerung mit Bier zurückzuführen. Auch wenn die Bierherstellung in Delft im Laufe des 17. Jahrhunderts stark abnahm, so betraf dies vor allem den Export. Mit 15 aktiven Brauereien im Jahr 1667 konnte Delft sich nicht mehr rühmen, eine Bierstadt zu sein, doch konnte mit ihnen immerhin der lokale Markt bedient werden.

Das war auch nötig, denn es gab kaum Alternativen, die Bevölkerung mit ausreichend Getränken zu versorgen. Das Grachtenwasser war zum Trinken zu schmutzig und wäre Regenwasser als Trinkwasser aufgefangen worden, hätte es durch die Reet- oder Strohdächer, über die es floss, ebenfalls zu viel Dreck enthalten. Wein war für die meisten zu teuer und Milch zu trinken war nicht üblich. Denn Milch war nicht lange haltbar und sorgte zudem oft für Durchfall, weil viele Menschen damals die enthaltene Laktose nicht vertrugen. Wenn Bier gebraut wurde, verwendeten die Brauereien hierzu zwar das schmutzige Grachtenwasser. Doch dieses wurde im Laufe des Brauprozesses so sehr erhitzt, dass die meisten Bakterien abstarben und Bier zu dem Getränk wurde, das als das sicherste galt. So kam es zu der Überlieferung, dass kleine Kinder begannen, Bier zu trinken, sobald sie von der Mutterbrust entwöhnt wurden. Ein heute gewöhnungsbedürftiger Gedanke, auch wenn wir berücksichtigen, dass der Alkoholgehalt von Bier im 17. Jahrhundert geringer war als im 21. Jahrhundert üblich.

 

Textilindustrie

Ein anderer wichtiger Wirtschaftszweig in Delft war die Textilherstellung. In der Eigenschaft als Textilstadt hatte Delft mit Leiden zwar gewichtige Konkurrenz. Doch Leidens Vormachtstellung in der Textilindustrie hinderte Delft nicht an Bemühungen, ein Stück des Kuchens zu erobern. So wurden mit einigem Erfolg Weberei-Unternehmer (drapiers) aus Leiden und von anderen Orten abgeworben, um die Herstellung sogenannter saaien auszubauen. Bei saaien handelt es sich um in Köperbindung gewebte wollene Stoffe, die am ehesten der deutschen Bezeichnung Wollserge entsprechen. Sie wurden mit anderen textilen Geweben, wie die Laken genannten gewalkten wollenen Stoffe, auf Qualität kontrolliert, bevor sie auf den Markt kamen. Dies geschah in Delft in den Räumen des Oudemannenhuis, einer Art Altersheim an der Stelle, an der später die Malergilde ihren Sitz hatte und an der sich heute das Vermeer Centrum befindet. Als die Tuchmacher von dort weichen mussten, erhielten sie 1645 Räumlichkeiten im ehemaligen Sankt-Agatha-Kloster, das im Achtzigjährigen Krieg Residenz des Wilhelm von Oranien geworden war. In der darauf folgenden Epoche diente der Gebäudekomplex unterschiedlichen anderen öffentlichen Zwecken.

Delft erlangte vor allem in einer besonderen Nische der Weberei eine Namen als Textilstadt: Als Zentrum für große gewebte Wandteppiche, für Tapisserien mit bildlichen Darstellungen wurde Delft sogar zur führenden Stadt in der Republik. Als Hochburg für gewebte Wandteppiche gab es in den Niederlanden kaum, höchstens noch in Flandern Konkurrenz für die Stadt. Die Erfolgsgeschichte begann mit der Einrichtung der Werkstatt des François Spiering im Südosten der Stadt. Spiering war ein Sohn eines Antwerpener Bürgermeisters und kam als Immigrant aus den südlichen niederländischen Provinzen nach Delft. Man begegnet ihm auch unter dem Vornamen Frans oder Franchoys und unter dem Nachnamen Spierinck, Spierings oder Spierincx. Die Delfter Stadtverwaltung ließ ihn im ehemaligen Sankt-Agnes-Kloster seine Werkstatt einrichten. Weder das Kloster noch das Webatelier blieben erhalten, doch der Straßenname Spieringstraat erinnert in diesem Viertel noch an Delfts glorreiche Vergangenheit in der Bildwirkerei. Hier schuf Spiering mit seinen Arbeitern Wandteppiche, die der Utrechter Gelehrte Arnold van Buchell (Buchelius) bereits 1598 bewunderte. Die Generalstaaten erteilten Spiering Aufträge für mehrere Tapisserienserien, die als Geschenke für internationale Fürsten, hochrangige Patrizier und Diplomaten bestimmt waren.

Dabei war Spiering nicht der erste Weber solcher Werke in Delft. Aus der Zeit vor seinem Umzug nach Delft weiß man von einem Auftrag, der an einen Joost Jansz Lanckaert erging. Doch Spierings Werkstatt wurde der erste Großbetrieb in diesem Zweig der Weberei. Bis 1615 war Spiering der einzige, der Tapisserien in so großem Format herstellte, dass sie Wände bedeckten. Wohl aber gab es parallel zu ihm Weber, die kleinere Arbeiten anfertigten.

Ein Streit zwischen Spiering und seinem Mitarbeiter Karel van Mander führte dazu, dass Van Mander sich 1615 mit einem eigenen Tapisserie-Betrieb selbstständig machte. Karel van Mander war ein Sohn des bedeutenden gleichnamigen Autoren eines wichtigen Künstlerhandbuchs und früher Künstlerbiographien, und lieferte eine Zeit lang Entwürfe für Tapisserien für Spiering. Van Manders Weg in die Selbstständigkeit wurde dank der großzügigen Starthilfe eines gewissen Nicolaes Snouckaert aus der Umgebung von Hamburg möglich, der den für damalige Verhältnisse sagenhaften Betrag von 85 199 Gulden investierte. Zum Vergleich: Beim Kauf eines Hauses konnten damals, je nach Art des Gebäudes, zwischen etwa 500 und 6000 Gulden fällig werden.
          Karel van Mander sah sich jedoch größeren Problemen ausgesetzt, eine geeignete Adresse für seine Werkstatt zu finden. Er musste das ehemalige Sankt-Annen-Kloster, auf das er ein Auge geworfen hatte, gleich von der Stadt kaufen, statt ähnlich günstige Unterbringungskonditionen zu erhalten wie Spiering. Vielleicht wollten die Stadtväter sich nicht vorwerfen lassen, sie gewährten gerade dem neuen Konkurrenten von Spiering ungebührliche Vorteile, während man es doch Spiering verdankte, dass Delft zur Tapisseriestadt geworden war. Dass Van Manders Betrieb letztlich weniger Erfolg zeitigte als der seines ehemaligen Arbeitgebers, muss aber nicht an mangelhafterer Unterbringung der Werkstatt gelegen haben, sondern ist eher Missmanagement zuzuschreiben. 

Nach Spierings Tod 1630 wurde sein florierender Betrieb 1635 oder 1636 von Maximilian van der Gucht übernommen. Unter Van der Gucht blieb das hohe Ansehen Delfter Tapisserien bis weit ins 17. Jahrhundert erhalten. Maximilian van der Gucht starb erst 1689 und war somit während Vermeers gesamter Lebensspanne der wichtigste Vertreter der Handwerkskunst gewebter Wandbehänge in Delft, die hier eine Blüteperiode bis 1675 erlebte. Ein Beispiel solcher Arbeiten in kleinem Format ist auf Vermeers Gemälde mit dem Geographen im Frankfurter Städel zu sehen: Der Stuhl an der Rückwand ist mit einer solchen typischen Delfter Weberei bekleidet. Wandteppiche von Van der Gucht sind heute noch in den Schlössern Guntherstein und Zuylen an der Vecht in den Niederlanden zu finden sowie im Regentenzimmer des Bartholomeusgasthauses in Utrecht. 

Die Textilindustrie verschmutzte die Delfter Grachten noch mehr, als diese ohnehin schon unsauber waren. Das führte zu Konflikten mit dem Brauereigewerbe, für das möglichst sauberes Wasser benötigt wurde. Um beiden Produktionszweigen – Textil und Bier – in Delft ihre Lebensgrundlage zu gewähren, teilte man den Wasserfluss in den Grachten. Der Westen der Stadt war das Gebiet der Bierbrauereien, vor allem am Kornmarkt und entlang der Oude Delft und Nieuwe Delft, der beiden ältesten Delfter Grachten, deren Anlage als Entwässerungskanäle innerhalb eines sumpfigen Geländes ab ca. 1100 es erst ermöglicht hatte, dass hier später eine Stadt entstehen konnte. Diese Grachten wurden mit saubererem Moorwasser aus der Umgebung versehen, das dem Delfter Bier auch noch einen besonderen Geschmack verlieh. Die verschmutzende Textilindustrie mit ihren Färbereien dagegen hatte sich mit Wasser aus den Grachten weiter östlich zu begnügen.

 

 

 

[Wird fortgesetzt.]

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