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Die beste Aussicht auf Utrecht hat man von einem der unschönsten Gebäudekomplexe aus. Viele halten den Blick vom Utrechter Domturm aus für den schönsten. Der hat aber den Nachteil, dass man ausgerechnet den Domturm, das Prunkstück unter Utrechts Sehenswürdigkeiten, natürlich nicht bewundern kann, wenn man selbst obendrauf steht.

Panorama-Blick auf Utrecht mit Domturm und BuurkerkFür den schönsten Panoramablick auf die Stadt begibt man sich zur Ostseite des Einkaufszentrums Hoog Catharijne, das sich zwischen dem Hauptbahnhof (Utrecht Centraal Station) und der Innenstadt erstreckt. Früher befanden sich hier die westliche Stadtgrenze mit dem Catharijnepoort und die wenig geliebte Vredenburg, von der aus die damals spanischen Machthaber die Stadt und die Umgebung unter Kontrolle halten wollten. Ab 1963 wurde hier ein enormes Einkaufszentrum errichtet, dessen Bau mehrere mittelalterliche Häuser und das bekannte Jugendstilgebäude der Versicherungesgesellschaft De Utrecht zum Opfer fielen. Zur Zeit (2013) wird das ganze Gebiet um Hoog Catharijne mit umfangreichen Baumaßnahmen neu gestaltet.

Wer von der Bahnhofshalle in Richtung Zentrum läuft, findet am Ende des Shopping Centers, kurz bevor die Rolltreppen nach unten führen, rechts den Eingang eines Warenhauses. Dieses Kaufhaus unterhält auf der obersten Etage ein Café. Innerhalb des Cafés wiederum führt eine weitere Treppe zu einer Dachterrasse für Gäste. Und von hier aus nun hat man den schönsten Blick auf Utrecht. Die Höflichkeit empfiehlt, sich in diesem Selbstbedienungscafé doch wenigstens für ein Getränk zu entscheiden, es handelt sich hier schließlich nicht um eine öffentliche Einrichtung. Dem Genuss kann das auch zuträglich sein, denn Freunde der Stadt können sich hier gut und gern eine Weile aufhalten. Wenigstens wenn das Wetter mitspielt und natürlich zu Ladenöffnungszeiten.

Die Anreise durch eine der kommerziellsten Passagen Utrechts wird mit einem Blick auf Utrecht belohnt, bei dem der hauptsächliche Blickfang der Stadt, der Turm des Doms, kerzengerade in der Mitte aufragt. Am besten kommt man nachmittags, denn dann hat man die Sonne im Rücken und bescheint sie diesen mit  112 Metern höchsten Kirchturm der Niederlande. Sofern sie denn scheint, versteht sich.

Vor dem Domturm liegt der kleinere, gedrungenere Turm der Buurkerk, ehemals eine der wichtigsten Pfarrkirchen Utrechts, in der sich heute das Spieluhrenmuseum (Museum Speelklok) befindet. Wer ein Fernglas mitbringt oder scharfe Augen hat, kann vielleicht die Kanonenkugeln im Mauerwerk entdecken, die noch von Beschießungen der Stadt von der Vredenburg aus stammen. Sie wurden links am Turm, wieder eingemauert, etwa dort wo das linke Seitenschiff oben endet. Bei der Straße, die von uns aus auf die Buurkerk zuläuft, handelt es sich um den Steenweg, heute eine belebte Einkaufsstraße und ursprünglich eine der ersten Straßen, die im Mittelalter in Utrecht angelegt wurden. 

Etwas links von diesen Kirchen ragt ein dreieckiger Giebel eines Gebäudes aus beigem Sandstein nur wenig über die übrigen Dächer heraus: das Rathaus. Der heutige neoklassizistische Bau entstand ab 1826 an der Stelle der Häuser Lichtenberg und Hasenberg, in denen das Rathaus zuvor untergebracht war. Das klassizistische Tympanon, das dreieckige Giebelfeld in der Mitte, wird von einer Skulpturengruppe des Pieter d'Hont aus dem Jahr 1957 geschmückt. Pieter d'Hont ist der bekannteste Utrechter Bildhauer des 20. Jahrhunderts und überall in Utrecht kann man auf seine Werke stoßen. Eines der beliebtesten ist die kleine Bronzefigur der Anne Frank vor der Janskerk. Sein Atelier in der Bastion Manenborgh am Südende der Innenstadt ist von unserer Aussichtsplattform aus nur zu erahnen. 

Gleich links hinter dem Rathaus ist ein dunkler neogotischer Ziegelbau mit hohem, schlanken Türmchen sichtbar. Dies ist die Willibrordkirche (Sint Willibrordkerk), benannt nach dem Heiligen Willibrord, dem im 8. Jahrhundert die Missionierung der Utrechter zum Christentum zu verdanken ist. Die Willibrordkirche wurde 1875-1891 nach Entwurf des Architekten Alfred Tepe erbaut, als es Katholiken in den Niederlanden wieder gestattet war, eigene Gotteshäuser zu errichten. Zuvor waren sie während langer Zeit auf mehr oder weniger geheime Schlupfkirchen (schuilkerken) angewiesen, um ihre Gottesdienste halten zu können, denn die Republik der Niederlande gestand offiziell keine anderen als reformierte Gotteshäuser zu. In Utrecht haben sich übrigens einige solcher Schlupfkirchen einigermaßen erhalten und sind sogar von hier oben aus gerade noch zu sehen. Im Falle der Willibrordkirche gab es zwei zuvor genutzte heimliche Kirchen, zunächst eine Schuilkerk im Dorstige Hartsteeg gegenüber dem Museum Catharijneconvent, später die so genannte Silokerk in der Herenstraat.

Utrecht, Blick von Hoog Catharijne nach NordostenWeiter links hat das Auge Gelegenheit, sich über ein Bürohochhaus von zweifelhafter Schönheit zu empören. Dieses so genannte Neudeflat (weil es am Platz Neude steht) entstand 1961 und hat seit seiner Errichtung auch bei Einheimischen mehrmals den Ruf nach Abbruch veranlasst. Der Architekt Huig Maaskant war vor allem in Rotterdam tätig, als diese Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut wurde, und hatte dort im Jahr zuvor den heute 185 Meter hohen Euromast erbaut, ein bekanntes Wahrzeichen Rotterdams. Streben nach Höherem war ursprünglich auch beim Neudeflat beabsichtigt, es sollte höher als der Domturm werden. Davon sah man jedoch nach Protesten aus der Bevölkerung wieder ab. Eine Besonderheit dieses Hochhauses besteht darin, das es nicht auf einem Fundament aus in den Boden gerammten Pfählen errichtet wurde wie die umringenden Gebäude und wie in den Niederlanden vielerorts üblich. In einer solchen Pfahlgründung wurde eine statische Gefahr für die Nachbarhäuser gesehen, deshalb wurde der Hochbau auf einer Betonplatte als Fundament errichtet. 

Links daneben, aus Ziegelstein errichtet, schließt sich eine andere Art von Kathedrale der Moderne an. Das Postkantoor, das ehemalige Utrechter Postamt. Seit dem 28. Oktober 2011 ist es kein Postamt mehr und kann der ehrfurchterregende zentrale Innenraum nicht mehr besichtigt werden. Das Postamt wurde 1920-1924 durch den Architekten Joseph Crouwel erbaut und ist ein beeindruckendes Beispiel der Amsterdamer Schule (Amsterdamse School) der Architektur. Die große Halle wird von gelben Ziegeln dominiert und ist u.a. mit monumentalen Skulpturen aus Blaustein von Hendrik van den Eijnde versehen, die die fünf Kontinente darstellen. An dieser Stelle stand im Mittelalter das Cäcilienkloster (St.-Caeciliaklooster), das nach der Reformation geschlossen wurde. Anschließend wurde die Münze hier angesiedelt, die 1814 von provinzialer zur Reichmünzstätte erhoben wurde. 

Vor dem Gebäude des Postamts ist das Stadtschloss Oudaen (Kasteel Oudaen) zu sehen, ein burgartiges Stadtschloss, das reiche Patrizier sich im Mittlealter erbauen ließen. Es ist links neben der weißen, von Baugerüsten umgebenen Fassade erkennbar. Kasteel Oudaen wurde kurz nach 1276 errichtet und verdankt seinen Namen der Familie Oudaen, in deren Besitz das Schloss 1395 kam und die bereits das ebenfalls Oudaen genannte Schloss in Breukelen an der Vecht besaßen. Auch in der Rückseite des Stadtschlosses wurden Kugeln eingemauert, die von der Beschießung von Vredenburg aus 1576-77 herrühren. 1758 wurde Oudaen zu einem Altersheim umfunktioniert. An der Seite der Oudegracht zeugt noch ein figürliches Relief von dieser Bestimmung. Heute befindet sich ein Restaurant in Schloss Oudaen.

Was man zugegebenermaßen von hier oben nicht sehen kann, ist die gesellige Oudegracht, wichtiger Wasserweg der Stadt im Mittelalter, die mit den angrenzenden Kellern (heute meist Adressen für Restaurants und Ateliers) eine Hauptattraktion für Besucher darstellt. Um Utrecht zu erleben, genügt also der Blick von oben nicht. Begeben Sie sich getrost hinein. Am besten auch bei einer Stadtführung durch Utrecht

Nachtrag:

Das Kaufhaus mit seiner Dachterrasse mit Aussicht ist seit Anfang 2016 wegen Insolvenz geschlossen. Wann und ob Besucher von dort oben wieder einmal Utrecht bewundern können, ist nicht bekannt. 

 


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