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Buurkerk und Dom in UtrechtEin ziemlich zugebauter Eingang zwischen Geschäften in einer lebendigen Einkaufsstraße, dunkelroter Ziegelstein, aus dem gelegentlich musikalische Töne schallen, umgeben von eilenden oder Pommes Frites essenden Menschen. Das ist die Buurkerk in Utrecht, eine Kirche, die heute als Unterkunft für das Museum Speelklok dient, ein lautes und fröhliches Musikinstrumente-Museum. Der Name Buurkerk kann wohl als "Nachbarschaftskirche" übersetzt werden. Ein "buur" ist ein Nachbar. Und hier im Schatten des Utrechter Doms trafen sich tatsächlich die benachbarten Einwohner der Stadt, zum Gottesdienst, zu Taufen und Begräbnissen oder einfach nur so, um sozialen Umgang miteinander zu pflegen. Denn der nur wenige Schritte entfernte eindrucksvolle Dom war nicht für's Volk bestimmt, nein, den betraten nur auserwählte Kanoniker.

Die Buurkerk - auf dem Foto hier zu sehen vor dem viel höher aufragenden Dom von Utrecht - ist die älteste der vier Pfarrkirchen Utrechts und Mittelpunkt des alten Handelsviertels Stathe. Sie war der Maria geweiht und wurde darum auch Maria Minor genannt. Die Kirche ist sorgfältig mit anderen Gebäuden umbaut und daher nur sehr schwierig und bruchstückhaft zu fotografieren. Der ursprüngliche romanische Bau stammt vermutlich aus dem 10. Jahrhundert. Während mehrerer Stadtbrände im Mittelalter wurde auch die Buurkerk beschädigt, so 1131, 1173, 1253 und 1279. Nach diesem letzten Brand wurde ein Neubau in gotischem Stil in Angriff genommen. Der heute noch die Kirche dominierende massive Turm mit einer Höhe von 56 Metern stammt aus dieser Bauphase und wurde ab 1370 errichtet.

Weitere Bauphasen folgten nach 1430, als die Kirche für die wachsende Bevölkerungszahl bereits zu klein geworden war und sie zu einer dreijochigen Hallenkirche ausgebaut wurde, sowie nach 1500, als zwei weitere Joche und ein neuer Chor hinzugefügt wurden. Diese Baumaßnahmen wurden ca. 1540 abgeschlossen.

Utrechts bekannteste Eremitin

Was die Kirche so besonders macht, ist unter anderem ihre im Mittelalter feste Bewohnerin, die in Utrecht und über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Suster Bertken ("Schwester Bertken"). Diese Eremitin und Dichterin wurde als Berta Jacobsdochter 1426 oder 1427 geboren und verstarb 1514. Sie war ein uneheliches Kind des Jacob van Lichtenberg, Probst des Kapitels der Utrechter Pieterskerk. Wahrscheinlich wurde sie Nonne im Regulierenkloster. Im Jahr 1457 ließ sie sich in einer selbstbeauftragten Zelle von 3,75 x 4 Metern regelrecht in der Buurkerk einmauern. Dieses selbstgewählte Verlies war 57 Jahre lang ihr Zuhause. Sie starb mit 87 Jahren und wurde in ihrer Zelle begraben.

Suster Bertken schrieb zwei religiöse Bücher:
Het boecxken van dye passie umfasst Prosa-Texte über die Leiden Christi.
Suster Bertkens boeck tractierende van desen puncten beinhaltet Gebete, ein Traktat über Weihnachten, einen Dialog zwischen der gläubigen Seele und ihrem Bräutigam Christus sowie acht Lieder. Besonders durch diese selbst verfassten Lieder erhielt Suster Bertken einen Platz in der niederländischen Literaturgeschichte. Sie gehörte der so genannten Moderne Devotie (Devotio moderna) an, einer spirituellen religiösen Bewegung, die gegen Ende des 14. Jahrhunderts in den Niederlanden entstand. Eremitinnen wie Suster Bertken wurden wegen ihrer frommen Lebensführung von der Bevölkerung sehr geschätzt. Die Gemeinde betrachtete sie als weise, fast heilige Frauen und bat regelmäßig um ihren Rat.

 Steinplatte Chor Buurkerk Suster Bertken

Steinplatte im Pflaster der Choorstraat in Utrecht, an der Stelle des ehemaligen Chores der Buurkerk, zur Erinnerung an die Zelle der Eremitin Suster Bertken.

 

In den Jahren 1566 und 1577 hatte die Buurkerk unter den Bilderstürmern zu leiden. Anschließend wurde das Kirchengebäude den Protestanten übergeben. 1586 unternahm man mit dem Abbruch des Chores eine drastische Aktion zugunsten des zunehmenden Verkehrs in der Stadt, der sich inzwischen regelmäßig quer durch den Chor hindurchbewegte. In der Choorstraat ist im Pflaster noch der ehemalige Grundriss des Chores angegeben. Darin ist auch die ehemalige Zelle der Suster Bertken mit einer Steinplatte markiert.

Funktionen der  Buurkerk

Auch in späteren Jahren mußte die Kirche sich profanen Bedürfnissen anpassen. Bei der ersten französischen Besetzung 1672 diente sie als Lagerraum für Hafer, bei der zweiten ab 1795 als Heuschober, Bäckerei und Stall. Seit 1984 beherbergt sie das Museum Speelklok (früher: Nationalmuseum van Speelklok tot Pierement). Bei einem Besuch dieses Museums bietet sich nicht nur Gelegenheit, eine einzigartige Sammlung alter Spieluhren und Drehorgeln zu erleben, sondern auch, ein paar erhaltene Reste der Wandmalereien der Buurkerk aus dem 15. und 16. Jahrhundert zu besichtigen.

Wilgefortis oder Kümmernis, Wandmalerei in der BuurkerkBuurkerk, mittelalterliche Wandmalerei mit Darstellung der Heiligen Kümmernis oder Wilgefortis an einem Pfeiler im Café des Museum Speelklok. Die Heilige Wilgefortis war eine sagenumwobene Heiligengestalt, die dem Christentum anhing und sich um 130 n.Chr. geweigert hatte, auf Wunsch ihres Vaters einen Heiden zu heiraten. Ihr Vater ließ sie daraufhin wie ihr religiöses Vorbild kreuzigen, und sie selbst erflehte sich von Gott, ihre Schönheit zu verlieren, woraufhin ihr ein Bart wuchs.

 

Wie damals gang und gäbe in niederländischen Kirchen, wurde in der Buurkerk auch bestattet. So manche Grabplatte zeugt noch von dieser Tradition. Im Eingangsbereich des Museums kann man beispielsweise einen Eindruck hiervon bekommen. Zu den hier begrabenen Utrechtern gehören auch einige Maler, die im 17. Jahrhundert in Utrecht lebten, darunter Joost Cornelisz. Droochsloot, Hendrick ter Brugghen, Jan Both, Dirck van Baburen, Paulus Moreelse, Herman Saftleven und Joachim Wtewael. Wo genau deren Gräber jedoch lagen, ist heute nicht mehr festzustellen.

Wie das Innere der Buurkerk in vergangenen Jahrhunderten in etwa aussah, ist heute noch an manchen Werken des niederländischen Architekturmalers Pieter Saenredam (1597-1665) abzulesen, wie an einem Gemälde in der National Gallery in London (Öl auf Eichenholz, 60 x 50 cm. 1644) oder einem Gemälde in der Sammlung Six in Amsterdam (Öl auf Holz, 1654):

 

Pieter Jansz. Saenredam - The Buurkerk at Utrecht - WGA20631

Inneres der Buurkerk, Gemälde von Pieter Saenredam aus der Sammlung Six, Amsterdam, 1654 (Quelle: Wikimedia Commons)

 

Ein auffallender Kirchturm

Zum äußeren Erscheinungsbild sei noch gesagt, dass die Spitze des Kirchturms eigentlich imposanter hatte aussehen und der des Domturms mehr hatte ähneln sollen. Man begann den Turmbau 1370 und war 1402 noch nicht damit fertig. Der Kirchturm sollte eigentlich eine achteckige Laterne erhalten, wie sie auch den Utrechter Domturm ziert. Wohl aus finanzieller Not blieb es jedoch letztlich bei einer provisorischen Verkleidung des Dachstuhls, wie wir sie im Wesentlichen heute noch sehen. Und das zum Glück, denn im 19. Jahrhundert gab es Überlegungen, ob man den Turm nicht abbrechen und der Kirche eine andere, turmlose Fassade geben solle. Solche wenig denkmalschutz-orientierten Pläne zerschlugen sich glücklicherweise aber wieder.

 

Buurkerk Utrecht Kirchturm

Turm der Buurkerk mit (noch immer) unvollendeter Spitze.

 

Auch ein anderes Detail am Kirchturm der Buurkerk war so nicht geplant. Während der Besetzung Utrechts durch die herrschenden Spanier unter Kaiser Karl V. wurde 1576 von der Festung Vredenburg aus auf die Bewohner der Stadt geschossen. So auch auf die Buurkerk. Immerhin waren zu jener Zeit Kanonen auf dem Turm aufgestellt, mit denen sich die Utrechter gegen die Spanier zur Wehr setzten und ihrerseits auf die Vredenburg schossen. Zwei Kanonenkugeln, die von diesen Auseinandersetzungen stammen und die vor (oder in?) der Buurkerk gefunden wurden, hat man in der östlichen Turmmauer sichtbar eingemauert.

 

Buurkerk Utrecht Kanonenkugel

Kanonenkugel im Mauerwerk am Turm der Buurkerk.

 

Ihr findet diese Kirche interessant? Habt Lust auf mehr Sehenswürdigkeiten und Wissenswertes aus Utrecht? Dann ist eine nette Stadtführung durch Utrecht wohl genau das Richtige.

26. Februar 2015

 


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