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Ohne eine Beziehung zu Rubens gibt es keine Legitimation für eine Ausstellung (älterer) Kunst in Siegen, könnte man meinen. Da die Stadt auf dem Gebiet von Kunst der Neuzeit wenig anderes zu bieten hat als ihre Eigenschaft als Geburtsstadt des Barockmeisters, muss sein Name für Vieles herhalten, wenn es heißt, dem einheimischen Publikum den Genuss etablierter Großmeister der Malerei oder Graphik schmackhaft zu machen. So zumindest scheint es, doch lasse ich mich gern eines Besseren belehren.

Siegen, Oberes Schloss, SiegerlandmuseumJüngstes Indiz für diese Hypothese ist die Goya trifft Rubens betitelte Ausstellung im Siegerlandmuseum im Oberen Schloss, die dort noch bis zum 15. August 2010 zu sehen ist. Eine persönliche Bekanntschaft beider Künstler ist ausgeschlossen und auch der Nachweis wichtiger Wechselbeziehungen künstlerischer Art zwischen beiden Œuvres gestalten sich problematisch. Rembrandts graphisches Werk wäre sicherlich besser als Vergleichsmaterial geeignet.

Diese Kritik schmälert jedoch nicht die für Siegen beachtliche Leistung, den Besuchern der Ausstellung Originalgraphiken eines Klassikers der Kunstgeschichte zu zeigen, die durch die Leihgaben von 253 Radierungen des Morat-Instituts für Kunst und Kunstwissenschaft in Freiburg ermöglicht und von der örtlichen Sparkasse finanziell unterstützt wurde.

Neben einigen Einzelblättern werden die vier bedeutenden graphischen Zyklen Goyas gezeigt, der mit vollem Namen Francisco José de Goya y Lucientes hieß und von 1746 bis 1828 lebte. Hierzu mussten große Teile der Museumssäle leer- oder umgeräumt werden, nahezu das ganze Schloss ist mit Werken des Meisters behängt. Dem Besucher wird empfohlen, ausreichend Zeit mitzubringen, denn auf den 253 gezeigten Graphiken gibt es viel zu entdecken.

Graphische Werke von Francisco de Goya im Siegerlandmuseum im Oberen Schloss

Der Zyklus Los Caprichos entstand 1797-1799 und prangert in mutiger, wenn auch für den heutigen Betrachter oft schwer verständlicher Bildsprache dekadente Auswüchse in der spanischen Gesellschaft an. Lobenswert zu erwähnen sind an dieser Stelle die Beischriften, mit denen beinahe alle gezeigten Werke versehen sind und die hier den Zugang zu Goyas beißender Kritik erleichtern. In oft grotesken Formen widmet sich Goya solchen Übeln wie Sittenlosigkeit, Aberglaube, Gewalt, kirchlichen Missständen und anderen unvertretbaren Situationen, denen seine Zeitgenossen sich ausgesetzt sehen mussten. Goya konnte nicht erwarten, dass diese Form der Gesellschaftskritik ihm in Dank abgenommen wurde, und so schenkte er, um eventueller Verfolgung zu entgehen, die Platten sicherheitshalber seinem Mäzen dem König.

Die Folge der Desastres de la Guerra (Schrecken des Krieges) bleibt besonders eindringlich auf der Netzhaut haften. Der umfangreiche Zyklus zeigt alle denkbaren brutalen Facetten des 1806-1814 wütenden spanisch-französischen Krieges. Erstaunlich, dass nach Erscheinen dieser Werke, die erst 40 Jahre nach ihrer Entstehung im Jahr 1863 veröffentlicht wurden, noch neue Kriege geführt wurden. Goyas Darstellungen hätten durchaus abschreckend genug sein können.

Die Tauromaquia entstand 1814-1816 und zeigt die Geschichte des Stierkampfes, wobei Goya sich an der gleichnamigen Veröffentlichung des Matadors José Delgado y Galvez (genannt Pepe Illo, 1754–1801) orientierte. Auch nicht in der Stierkampftradition Verwurzelte erhalten einen prägnanten Eindruck der anscheinend mythischen Propotionen des Generationen alten Kräftemessens zwischen Mann und Stier. Manche Blätter erinnern gar an die Herausforderungen, die die Kreter bereits mit ihrem Sport des Stierspringens angingen.

Die 22 Blätter der Proverbios schließlich (auch Los Disparates, Torheiten) entstanden ungefähr zeitgleich mit seinen berühmten pinturas negras, den schwarzen Bildern. Sie zählen zum Spätwerk Goyas und gelten wohl als die rätselhaftesten und bemerkenswertesten seiner Radierungen, die beim Betrachter mehr Fragen hinterlassen als dass sie Antworten geben.

Obwohl der Umfang der Ausstellung bereits den Rahmen dessen sprengt, was wir von einem Museum dieses Kalibers erwarten würden, seien an dieser Stelle doch einige Lücken genannt: Man vermisst nähere Information zum Herstellungsprozess der Werke, zu Goyas oft virtuoser graphischer Technik, bei der der Künstler Radierung und Aquatinta in nahezu endlos scheinendem Experiment variiert und mit technischen Kunstgriffen wie Lavierungen und Kaltnadel arbeitet, bis die damit erzielten Nuancen bei einem Probedruck schließlich seinen Anforderungen gerecht wurden. Zur Veranschaulichung werden lediglich zwei Blätter moderner Hand zur Radierung und Aquatintatechnik mitsamt Druckplatten gezeigt, die die Meisterschaft Goyas jedoch nicht sehr erhellen. Von manchen Platten Goyas sind mehrere Abzüge ausgestellt. Hier wäre Gelegenheit gewesen, auf Unterschiede zwischen verschiedenen Drucken von derselben Platte hinzuweisen. Auch detailliertere Hintergrundinformation zur Entstehung und Verbreitung der verschiedenen Serien und zu ihrem historischen Kontext wäre wünschenswert gewesen. Eine Kurzbiographie Goyas findet sich erst gegen Ende des von den Museumsmitarbeitern empfohlenen Rundgangs. Ungewöhnlich auch, dass der Gang durch die Ausstellung sich (auf Empfehlung der dortigen Mitarbeiter) in der Reihenfolge Tauromaquia, Proverbio/Disparates, Desastres, Caprichos erschließt, während die Chronologie der Zyklen eine andere Reihung nahegelegt hätte.

Nichtsdestotrotz eine außerordentlich sehenswerte Ausstellung, die jedem kulturell Interessierten in der Region ans Herz gelegt sei.

29. Oktober 2010

[Dies ist ein Beitrag, der zuvor andernorts eingestellt war.]


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